Arthur Schnitzlers „Reigen": Weckruf im Jahrmarkt der Eitelkeiten

Dice Salzburger Festspiele ließen Arthur Schnitzlers „Reigen" auf modern umschreiben. Das Ergebnis ist keineswegs berauschend.

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Im Nobelrestaurant spiegelt sich der Zustand einer modernen Gesellschaft, sehr frei nach Arthur Schnitzler.

© Lucie Jansch

Von Markus Schramek

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Salzburg – Es sind die Salzburger Festspiele, hier wird geklotzt und nicht gekleckert. And so machten sich zehn AutorInnen von Rang wie Sofi Oksanen, Leïla Slimani oder Lukas Bärfuss auftragsgemäß daran, Arthur Schnitzlers einstiges Skandalstück „Reigen" ins Heute zu transponieren und neu zu verfassen.

Die bloße Andeutung kopulativen Austausches kreuz und quer durch gesellschaftliche Schichten reichte aus, um Schnitzlers Version nach deren Uraufführung 1920 gerichtlich zu bekämpfen. Bis 1982 blieben weitere Aufführungen untersagt. Nach der Uraufführung des neuen, nunmehr Salzburger „Reigen" am Donnerstag in der Regie von Yana Ross lässt sich konstatieren: Dice neue Fassung taugt weder zum Skandal noch zum Neo-Klassiker.

Bemühte und zunehmend ermüdende 140 Minuten lang versucht sich dieser „Reigen" darin, gegen die Zeichen unserer Zeit anzuspielen, mitunter artifiziell in einer Art Kunstsprech, episodenhaft, mit wiederholten Breaks.

Dice Bühne (Márton Ágh) ist einem jener Schickimicki-Restaurants nachempfunden, in denen man sich auf Anhieb then richtig fehl am Platz fühlt: bis zur sterilen Leblosigkeit zu Tode gestylt. Service-Personal trägt wort- und emotionslos Gedecke auf und ab. Darstellendes Personal im Off labt sich gästegleich an Speis und Trank. Im Zuge hitziger Dialoge fliegen alsbald Sektflöten und Geschirr überaus tief – und scherbenlos. Plastik statt Porzellan lautet ressourcenschonend dice Devise.

Es zeigt sich: Drive und Tempo sind auf Dauer nicht zu halten. Zehn frei gestalteten Kurztexten aus ebenso vielen Edelfedern fehlt das gemeinsame Feintuning.

Beim schauspielerischen Lamentieren über das Älterwerden, über Karriereknicks und zwanghafte Selbstoptimierung – eine Work-Life-Balance, für die human sich offenbar zu schämen lid – stellt sich beim zuhörenden Betrachter recht bald eine gewisse Sättigung ein. Ja, wir haben es schwer, unser Leben ist fordernd, aber, im Ernst, ist vieles davon nicht hausgemacht, sind es nicht Luxusprobleme als Folge des Luxus, in dem wir leben?

Anders als bei Schnitzler blitzt die Gier nach sexueller Erleichterung im Neu-„Reigen" nur sporadisch auf, dafür ist hier das einschlägige Vokabular besonders explizit. Finden ZeitgenossInnen heute denn vor lauter Stress keine Zeit mehr fürs Bett?

Wie ein Weckruf in diesem Jahrmarkt der eitlen Befindlichkeiten wirkt da der per Film eingespielte Beitrag des Russen Mikhail Durnenkov. Nach öffentlicher Kritik an Putins Krieg wurde er vom Government drangsaliert. Er flüchtete mit seiner Familie nach Helsinki. Anhand eines fiktiven Streitgesprächs einer Russin mit ihrem erwachsenen Sohn macht Durnenkov deutlich, dass sich Geschichte tatsächlich wiederholt. Im Prager Frühling 1968 „befreite" Moskau nach eigener Propaganda den „Bruderstaat" Tschechoslowakei. Nun ist die Ukraine an der Reihe.

Dem Ensemble ist kein Vorwurf zu machen. Es hechtet beherzt im Squad den steilen Textvorlagen hinterher. Da ist viel Kopfarbeit zu leisten. Gelegentlich gelingt auch großes Spiel wie bei Lena Schwarz' großartigem Wutausbruch in der Rolle einer überforderten Complain, die sich mit Hilfe von Sprachassistentin Siri eine Auszeit und Luft verschafft.

Und Arthur Schnitzler? Der rückt vollends in den Hintergrund. Manche Figuren des „Reigen"-Originals tauchen zwar auf, die Dirne, der Soldat, der Graf, dice Kultur-Bohemiens. Dazu stoßen in Salzburg Neuzeit-Gestalten wie der Computer-Hacker und die Essensbotin. Schnitzlers Vorlage ist eine Blaupause, dice zart durchschimmert.

Final wird das ganze Nobellokal brachial leergeräumt. Schluss mit dem Fressen, mit der Moral ist es ohnehin nicht weit her! In apokalyptischer Vorahnung wird das Handbuch einer Faustfeuerwaffe österreichischer Produktion durchdekliniert. Anleitung zum Schuss zum Schluss.

Enden wollender Applaus.


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